Conterganhersteller Grünenthal entschuldigt sich erstmals – Aachener-Zeitung.de

 

Stolberg/Aachen. Der frühere Contergan-Hersteller Grünenthal hat sich erstmals bei den Opfern des Arzneimittelskandals entschuldigt. Bei der Einweihungsfeier des wohl ersten Denkmals für die weltweit 10.000 Opfer sagte Grünenthal-Geschäftsführer Harald Stock am Freitag in Stolberg, es sei bedauerlich, dass Grünenthal nicht viel früher auf die Opfer zugegangen sei.

«Darüber hinaus bitten wir um Entschuldigung, dass wir 50 Jahre lang nicht den Weg zu Ihnen, von Mensch zu Mensch, gefunden haben. Stattdessen haben wir geschwiegen.»

Grünenthal hatte zwar schon mehrfach sein Bedauern über die «Tragödie» zum Ausdruck gebracht, sich aber noch nie in dieser Weise entschuldigt. Contergan steht für den größten Medikamenten-Skandal der deutschen Nachkriegsgeschichte. Nach Stocks Äußerungen brandete Applaus im Theatersaal des Kulturzentrums auf, in dem die Feierstunde zur Einweihung des Denkmals abgehalten wurde. Es meldeten sich aber auch sofort zwei Kritiker aus dem Publikum zu Wort. Sie warfen Grünenthal vor, finanziell viel zu wenig für die Opfer zu tun und noch immer verhüllende Begriffe wie «Tragödie» zu verwenden.

Der Bundesverband Contergangeschädigter wollte zunächst noch nicht reagieren. Der Stolberger Bürgermeister Ferdi Gatzweiler (SPD) sagte der Nachrichtenagentur dpa: «Wenn es so ist, dass das wirklich das erste Mal gewesen ist und das auch von den Betroffenen so empfunden wird, dann ist das ein Erfolg für alle.» Er sei in jedem Fall «sehr glücklich».

Nach der Ansprache Stocks wurde im Foyer des Stolberger Kulturzentrums ein kleines Denkmal für die Opfer enthüllt, das wohl erste seiner Art. Die Bronze-Skulptur des Aachener Künstlers Bonifatius Stirnberg stellt ein Mädchen ohne Arme und mit missgebildeten Füßen auf einem Stuhl sitzend dar. Neben ihm ist noch ein zweiter, leerer Stuhl. Die Kosten in Höhe von 5000 Euro wurden von Grünenthal übernommen.

Genau dies wird von den verschiedenen Geschädigten-Verbänden scharf kritisiert. Der Bundesverband Contergangeschädigter – der nach eigenen Angaben den «überwiegenden Teil» der Opfer vertritt – blieb der Einweihungsfeier demonstrativ fern. «Wir sehen das als zynische PR-Maßnahme von Grünenthal», sagte Verbandssprecherin Ilonka Stebritz der dpa. Für Grünenthal gebe es wirklich Dringenderes zu tun, als ein Denkmal zu sponsern. Die Conterganopfer benötigten ganz konkrete Unterstützung, um ihren Alltag zu bewältigen, und diese Unterstützung werde von Grünenthal verweigert.

Der Initiator des Denkmals, Johannes Igel, verteidigte seine Idee. «Ich wollte eine Brücke bauen zwischen dem Verursacher und den Geschädigten», sagte er der dpa. Der Gedanke sei ihm bei einem Besuch des Holocaust-Denkmals in Berlin gekommen. Da habe er sich gesagt, dass es auch ein Denkmal für die vielen contergangeschädigten Kinder geben müsse, die kurz nach der Geburt gestorben seien. Igel ist selbst contergangeschädigt.

Die rheinische Firma Grünenthal hatte das Schlafmittel 1957 auf den Markt gebracht. Viele werdende Mütter nahmen es ein – vor allem auch weil es gegen Schwangerschaftsübelkeit half. Doch bald kamen weltweit etwa 10 000 Kinder mit schweren Missbildungen vor allem an Armen und Beinen zur Welt. In Deutschland allein waren es ungefähr 5000. 1961 zog Grünenthal das Medikament zurück.

Nach langen Auseinandersetzungen wurde 1971 eine Stiftung eingerichtet und mit 200 Millionen Mark ausgestattet. Das Geld kam jeweils zur Hälfte von Grünenthal und vom Bund. Aus diesem Fonds erhalten die Geschädigten eine Rente.

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