Berichte über Menschen mit Behinderung – Medienseite – WDR.de

Nur Helden und Opfer

Behinderte “meistern ihr Leben“, “leiden an ihren Handicaps“ oder sind “an den Rollstuhl gefesselt“. Journalisten tappen bei der Berichterstattung über Menschen mit Behinderung oft in die Klischee-Falle. Das Blog „Leidmedien.de“ will das ändern.

Das “Leidmedien.de“-Team

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Raul Krauthausen (r) und das “Leidmedien.de“-Team

Woran die Berichterstattung über Behinderte krankt und wie das zu ändern ist, darüber hat WDR.de mit Raul Krauthausen gesprochen, einem der Initiatoren von Leidmedien.de. Raul Krauthausen hat auch WDR.de-Berichte über Menschen mit Behinderung kritisch unter die Lupe genommen.

WDR.de: Herr Krauthausen, was sind die klassischen Vorurteile in der Berichterstattung über Menschen mit Behinderung?

Raul Krauthausen: Menschen mit Behinderung werden entweder zu Helden stilisiert, die trotz ihrer Behinderung tapfer ihr Schicksal meistern. Oder aber sie werden als Opfer abgebildet, die leiden und an den Rollstuhl gefesselt sind. Die Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte. Mein Rollstuhl etwa bedeutet für mich Freiheit. Ich will nicht laufen können. Ich will einfach weniger Treppen und mehr Rampen. Ich habe Talente, und ich kann auch mal ein Arschloch sein. Nicht trotz oder durch, sondern mit meiner Behinderung.

WDR.de: Warum fällt es den Medien anscheinend schwer, vorurteilsfrei über das Thema Behinderung zu berichten?

Raul Krauthausen lächelt in die Kamera

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Raul Krauthausen von “Leidmedien.de“

Krauthausen: Ich glaube, das hat unter anderem damit zu tun, dass kaum Menschen mit Behinderung in den Medien arbeiten. Wenn Behinderte in der Berichterstattung auftauchen, dann meist aufgrund ihrer Behinderung. Aber es gibt keine, die normale Sendungen moderieren, die Nachrichten präsentieren, die in der Werbung zu sehen sind – Behinderte tauchen einfach nie auf. Journalisten, die über Menschen mit Behinderung berichten, sind letztendlich also auch Zuschauer. Dadurch entsteht ein sich selbst erhaltendes Vorurteil, das orientiert ist an „gesund“ und krank“. Das Ganze ist aber nicht nur den Medien anzulasten, sondern in Deutschland vor allem dem System, dass Menschen mit Behinderung im Alltag aussortiert werden. Sie gehen in Förderschulen, wohnen, leben und arbeiten in Sondereinrichtungen, wo sie betreut werden. Es gibt keinen Berührungspunkt zur vermeintlich nicht-behinderten Welt. Weil niemand Kontakt zu „den Fremden“ hat, manifestieren sich dann halt Vorurteile.

WDR.de: Sie haben sich auch einige Beiträge von WDR.de zum Thema angeschaut. Was ist Ihnen da aufgefallen?

Krauthausen: Bei einem Text über die contergangeschädigte Lehrerin gibt es Formulierungen wie „ein ausgefülltes Leben“ oder „die stolze Schwerstarbeiterin“. Das hat so etwas von „Trotz ihrer Behinderung ist sie ganz normal“. Aber ich glaube der eigentliche Nachrichtenwert ist doch der, dass die Folgeschäden schlimmer werden, die sie durch die Contergan-Schädigung hat, und dass ihre Situation mit zunehmendem Alter schwieriger wird und weniger, dass sie ein ganz normales Leben als Lehrerin führt. Bei einem Beitrag über eine Bäckereiangestellte steht: „Fast zu groß wirken die Backbleche in ihrer Hand, dennoch schaut sie vergnügt unter der Haube hervor.“ Wenn die beschriebene Person keine Behinderung hätte, wäre das, glaube ich, eine ziemlich alberne Formulierung. Schließlich ist sie 26 Jahre alt und geht einem Job nach. Warum also schreibt man das bei Behinderten?

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Mutter und Lehrerin – und ohne Arme: Die stolze Schwerstarbeiterin (27.11.2006)

Arbeitsplätze für Schwerbehinderte: Integriert in der Großbäckerei (22.03.2012)

WDR.de: Gibt es auch Texte, die Ihnen positiv aufgefallen sind?

Krauthausen: Interessant ist die Sportberichterstattung. Da geht es schon auch immer um die Behinderung, leider, aber man liest auch viel von dem Wettkampf-Geist. Sport ist meiner Meinung nach ein guter Hebel, um mal ein anderes, ein selbstbewussteres Bild von Behinderten zu vermitteln. Ich bin gespannt auf die Sportberichterstattung über die Paralympics und ob die Sportreporter dahingehend sensibilisiert sind, dass sie nicht gleich die Behinderung zum Thema machen, sondern über die sportliche Leistung sprechen. Als Journalist sollte man sich die Frage stellen: Würde ich einen nicht-behinderten Menschen auch so porträtieren? Manchmal hilft es, die Behinderung genauso wichtig bzw. unwichtig zu nehmen wie eine Haarfarbe. Ist sie relevant, darf sie erwähnt werden. Wenn nicht, einfach weglassen.

via Berichte über Menschen mit Behinderung – Medienseite – WDR.de.